Letzte Woche habe ich mir seit langem mal wieder Zeit für etwas genommen, dass ich seit Wochen und Monaten auf die lange Bank schiebe: Ein wahrhaftiges Gespräch mit einer guten Freundin. Am Telefon. Denn so wahrhaftig unser Date auch war, leider hat sich für ein persönliches Treffen kein Zeitfenster gefunden. Der Tee ist fertig, das Headset angeschlossen, die Decke perfekt einmal um den Körper gewickelt – aus einem grünen blinkenden Hörerzeichen wechselt es auf rot.
„Hallo! Du wirst nicht glauben, was mir gestern passiert ist!“
Ready – Set – Go. Gab es ein Ready? War da sein Set? Meine Freundin überrollt mich mit einer Lawine aus Worten, schnell aneinander gereihten Worten ohne Punkt und ohne Komma. Dabei geht es um ein paar Schuhe, die sie sich letztes Wochenende von einer Freundin geliehen hat. An sich nichts aussergewöhnliches, aber ein paar Einzelheiten lassen mich dann doch hellhörig werden.
„Ich war mir nicht mehr sicher.“
„Du warst dir nicht mehr sicher, ob…?“
„..ich die Schuhe richtig eingepackt hab! Es waren zwei Paar, aber ich bin nur mit einem Zuhause angekommen. Es war schon so spät und wir waren dann auch noch zum Abendessen eingeladen und kochen musste ich auch noch und ich bin dann mit so einem komischen Gefühl abends ins Bett.“
„Weil du…?“ Eine Lawine an Einzelheiten brach los.
Die Quintessenz lautete: „Weil mich diese Schuhe so beschäftigt haben!“
Die halbe Nacht ist sie also wach gelegen und hat sich mit ein und derselben Frage beschäftigt: Wo war das zweite Paar Schuhe?
Während sie erzählt, nutze ich die Gelegenheit und versuche herauszufinden welche Inhaltsstoffe ihr Gefühlscocktail hergibt: Ungeduld, Angespanntheit, Aufgeregtheit, Durcheinander, Hektik. Nah dran, aber irgendwie noch immer nicht das richtige dabei. Ich überlege weiter.
Schliesslich hat sie es nicht mehr ausgehalten und sich auf den Weg zurück zu ihrer Freundin gemacht. Im Dunkeln, mit nichts ausser einer Stirnlampe bewaffnet hat sie Feldwege und Wiesenränder abgesucht in der Hoffnung Erlösung in Form eines Schuhpaars zu finden.
„Ja und irgendwie war meine Festplatte so voll, ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Ich war dort mit einer Mission: Schuhe ausleihen. Ich fuhr nachhause mit einer Mission: Kleid und Schuhe zusammenführen, Essen kochen. Und plötzlich konnte ich keinen Gedanken mehr dazwischen abrufen. Als wäre meine Festplatte im Overload. Als wäre dazwischen einfach nichts passiert. Als ich dann nachhause gekommen bin, hab ich das meinem Freund erzählt, der hat sich nur an den Kopf gefasst und gemeint, das wäre typisch für mich. Und dann musste ich dir das erzählen, weil ich eben meine, dass das eigentlich so ganz und gar nicht meine Art ist.“
Was sie mit ganz und gar untypisch meinte, war die Tatsache, dass es nie ein zweites Paar Schuhe gegeben hatte. Um sechs Uhr klingelte sie bei ihrer Freundin, bereit sich für etwas zu entschuldigen, was nie stattgefunden hatte: Der Verlust von einem Paar Schuhen irgendwo auf dem Nachhauseweg.
Unser Gespräch nahm die Gestalt eines echten, aufrichtigen Gesprächs an. Ich hatte die geheime Zutat ihres Gefühlscocktails erkannt: Überforderung. Overload. Totalausfall.
Manchmal gewöhnen wir uns an Probleme und akzeptieren sie als eine Art unveränderlichen Status Quo. Selbstreflexion und eine achtsame Grundeinstellung helfen uns dabei, diese unscheinbaren Minenfelder zu erkennen und als echte Störung wahrzunehmen. Oftmals sind Probleme grundsätzlich viel leichter zu lösen, als man meint, weil wir uns im Laufe des Lebens durch Erfahrungen und Beobachtungen neue Skills angeeignet haben, die unseren Problemlöse-Werkzeug-Koffer bereichern. Allerdings führt kein Weg daran vorbei Probleme erst als solche wahrzunehmen und ihnen dann im Anschluss einen entsprechenden Namen zu geben.
Wie sieht es bei dir persönlich im Alltag aus? Trägst du einen Haufen Altlast mit dir herum, die sich beseitigen lassen würden, wenn du ihnen einen Namen gäbest? Das können zweifelhafte Freundschaften sein, Hobbys, die einem nie wirklich Spaß gemacht haben, Ernährungsrituale, die aus blosser Routine teil deines Alltags geworden sind, dir aber genau genommen gar nicht gut tun. Oder Glaubenssätze, die du dir selbst oder von anderen hast einreden lassen und dir ein getrübtes und verzerrtes Bild deiner eigentlichen Persönlichkeit spiegeln. „Das ist ja so typisch für dich.“
Glaube dir nicht alles, was du denkst. Gedanken sind trügerisch. Besonders, wenn die Festplatte voll ist und man vor einem unvollständigen Datensatz steht. Eine Datenbereinigung kann da manchmal wahre Wunder wirken.
Wie das im Alltag aussehen kann?
Eine Investition in dich selbst. Gönn dir Zeit für dich mit dir. Erkenne deinen inneren Kritiker und werde dir einmal mehr bewusst darüber, dass du bereits alles hast, was du benötigst, um dein Leben so zu gestalten, wie du es dir wünschst.
Manchmal helfen dabei auch Anreize von aussen. Eine ehrliche Meinung, die Sicht eines Gegenübers. Ein Telefonat mit einer guten Freundin.
Aber auch hier gilt es darauf zu achten, dass nicht die Vorstellungen deines Gegenübers im Vordergrund stehen, (Ratschläge können auch Schläge sein) sondern viel mehr deine ganz eigenen Wünsche und Möglichkeiten. Das Ziel einer solchen Offenbarungsreise sollte eine vollumfänglich funktionsfähige Persönlichkeit sein, die sich durch Wertschätzung des eigenen Selbst, unversehrte Realitätswahrnehmung, Selbstverantwortlichkeit, befriedigende (echte) soziale Interaktionen, Offenheit gegenüber Erfahrungen und Selbstvertrauen auszeichnet.
Du brauchst einen Impuls von aussen? Mitstreiter:innen, die die selben Altlasten vor sich her schieben? Eine neue Sportart, die zu einem echten Hobby werden soll?
Dann melde dich zu einem unserer Bouldern gegen Depressionen Stage I Kurse an.
Klettern und Therapie ist gewachsen und hält neben neuen Trainer Gesichtern auch neue Standorte für euch bereit!
Die neuen Termine auf einen Blick
Standort: Kletterhalle Weyarn
Kursstart: ➡️ Montag 13.09.21
Uhrzeit: 18:00 – 20:00
20.09.//27.09.//04.10.//11.10.//18.10.//25.10.//01.11.//08.11.//15.11.//
Standort: Boulderwelt Süd
Kursstart: ➡️ Donnerstag 23.09.21
Uhrzeit: 18:30 – 20:30
30.09.//07.10.//14.10.//21.10.//28.10.//04.11.//11.11.//18.11.//25.11.//
Standort: Stuntwerk Rosenheim
Kursstart: ➡️ Freitag 01.10.21
Uhrzeit: 17:00 – 19:00
08.10.//15.10.//22.10.//29.10.//05.11.//12.11.//19.11.//26.11.//03.12.//
In Kooperation mit The GoodNewsLetter via Klettern und Therapie