Stress lass nach

Die Anforderungen der heutigen Arbeitswelt führen zu einem steigenden Arbeitsdruck unter Erwerbstätigen. Jüngsten Studien zufolge leiden 56 Prozent der Berufstätigen unter diesem Trend, jeder zweite spricht von zunehmendem Zeitdruck, jeder dritte von gesteigertem Anspruch und Komplexität im Arbeitsbereich. Die Erwartungshaltung auch außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein, sowie die zunehmende Konkurrenz unter Kollegen des eigenen Betriebs, deuten auf eine allgemein gesellschaftliche Veränderung hin.

Eine Studie von Mark und Kollegen zeigt auf, dass viele Menschen ihren Arbeitsalltag zudem als reizüberflutet empfinden. Diese Form der Arbeitszunahme in Kombination mit steigendem Zeitdruck beeinflusst dabei auch die psychische Seelenlage der Arbeitstätigen. Chronische Anstrengung führt zu einer Abnahme von Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, was wiederum Abstriche in Kreativität, Produktivität sowie Enthusiasmus zur Folge hat. Diese Reizüberflutung wird zudem durch die digitale Revolution zunehmend geschürt – der digitale Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Die Fähigkeit zur Selbstregulation auf psychischer, sowie physischer Art nimmt daher einen essentiellen Stellenwert ein in Umgebungen, die geprägt sind von Reizüberflutung und Stressoren. Seelische Erkrankungen sind oftmals die Folge.

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Warum leiden so viele Menschen in Deutschland unter stressbedingten psychischen Erkrankungen und was kann man selbst dagegen tun?

Europaweit weisen insgesamt 83 Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren eine psychische Störung auf, die häufigste darunter: Major Depression. („Schwere Depression“)

In Deutschland sind davon rund 15% betroffen, d.h. 31% der Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 65 leiden unter psychischen Störungen. Wirft man nun ein Licht auf den Trend des stetigen Älterwerdens und untersucht die Altersklasse zwischen 65 und 85 Jahren, kommt man zu dem erschreckenden Ergebnis, dass der Anteil der Betroffenen auf satte 33,3% steigt.
Beklemmende Aussichten für das Älterwerden einer Generation, die doch eigentlich recht aufgeklärt zu sein scheint. Gibt uns das nicht zu Denken?

In meinem Blogartikel mit dem Thema Achtsamkeit wurden bereits beide Seiten von Stress (negativ & positiv) näher beleuchtet und eine Herangehensweise aufgeführt, wie eine vermeintlich stressige Situation selbst analysiert und in Folge dessen auch besser gesteuern werden kann. Tatsächlich finden sich immer mehr Indize darauf, dass Stress in positiver & wohldosierter Form unseren Körper zu Hochtouren auflaufen lässt. Eine Art Hormoncocktail also, der uns den letzten Kick gibt, um die Steuererklärung doch noch on time fertiggestellt zu bekommen. Alles Einstellungssache? „Ja!“ sagt Kognitionspsychologe Oliver T. Wolf. Er ist der festen Überzeugung, dass Stress  einen entscheidenden Einfluss auf Lern- und Erinnerungsprozesse hat.

Besonders in Fahrt kommt unser Stresssystem nach Wolf, wenn es sozialem Stress ausgsetzt wird. Hierfür sprechen unter anderem die Ergebnisse des Trier Social Stress Tests (TSST), der Probanden als Bewerber in ein Vorstellungssgespräch schickt deren Auswahlgremium instruiert wurde besonders emotionslos und kritisch in der Interviewführung zu sein. Das Ergebnis: Die Probanden, die sich durch die Situation gestresst fühlten, konnten sich an viele Einzelheiten zu Gegenständen im Raum erinnern, die den nicht gestressten Probanten gar nicht aufgefallen waren. Erheiterndes Erstaunen dürfte sich demnach auch durch die Tatsache einstellen, dass durch die Zugabe von Cortisol in Angstsituationen (z.B. Angst vor Schlangen) das absolute Gegenteil erreicht werden kann. Viele Neurowissenschaftler nutzen diesen Trick für spezielle Konforntationstrainings, um Angst- und Traumapatienten erfolgreich zu behandeln.

Immer noch nicht bereit, den vermeintlich negativ besetzten Stress zu überdenken? Dann wage ich einen weiteren Versuch mit der wissenschaftlichen Beweisführung:

„Stress kann soziale Kompetenzen fördern.“

Neben den Hormomen Adrenalin und Cortisol schüttet unser Organismus noch eine weitere Komponente für den Gefühls-Cocktail der Superlative aus: Oxytocin. Oder wie der Volksmund sagt: Das Kuschelhormon. Besonders aktiv ist Oxytocin in der Anfangszeit jeder guten Beziehung. Wir haben bereits erleben dürfen, wie die erste Verliebtheit gegenüber eines neuen Partners uns extra kuschelig, extra romantisch und extra gefühlsbetont eingefärbt hat. Es ist mittlerweile pathologisch erwiesen, dass dieser Umstand durch die Abnahme der kleinen Helferlein im Laufe der Zeit langsam nachlässt. Stichwort: Das verflixte siebte Jahr.

Oxytocin kann allerdins mehr als nur kuscheln. Wir können uns in Stresssituationen besser in andere hineinfühlen und zeigen mehr Mitgefühl und Empathie. Und nachdem wir uns nun schon eine ganze Weile mit den psychischen Vorgängen durch die Zugabe von Stresshormonen befasst haben, hier ein körperlicher Aspekt:
Kurzfristiger Stress über einen absehbaren Zeitraum von Minuten/Stunden hat positive Effekte auf unser Immunsystem. Joggen, Saunieren, ein vorvelegter Abgabetermin – ein Feuerwerk an Abwehrstoffen!

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Was bringt mir das Ganze?

Ob Stress uns nachts nicht schlafen oder uns zu Hochtouren auffahren lässt, hat maßgeblich damit zu tun, welche Aktivitäten wir während unserer Stressituationen verfolgen. Oder anders gesagt: Was genau lässt uns Stress erleben und können wir dieser Sache einen Sinn zuschreiben? Ein Sinn, der nicht nur zweckerfüllend, sondern viel mehr wirkungsvoll und leidenschaftlich, inspirierend und beflügelnd wirkt? Hilft uns dieser Stress dabei, ein langfristiges Ziel zu erreichen, wofür es sich zu „schwitzen“ lohnt? Ist man bereit, die Stresssituation mit offenem Herzen anzunehmen, weil man das eigentliche Ziel im Auge hat, das Ziel, das als so wichtig und sinnstiftend empfunden wird, dass es jeder Mühe wert ist?
Dann hat Stress seine positive Erfolgsmission erfüllt.

 

Wie schaffe ich es, dieses Denkmuster in meinen Alltag zu integrieren?


Eine kleine Selbstanalyse kann hier schon Wunder wirken:

1) Wie gehst du innerlich mit Stress, Druck, Hektik und Sorgen um?
Wer die Ursache seiner Anspannung wirklich begreifen möchte, muss über äußere Faktoren, wie beispielsweise „Arbeitsbelastung“ hinaus an seinen „individuellen Denk- und Verhaltensmustern“ arbeiten.
„Streng´ dich an!“ „Stell dich nicht so an!“ „Ohne Fleiß, kein Preis!“ Kommen dir diese Phrasen bekannt vor? Wir alle kennen sie aus unserer Kindheit. Gutgemeinte „Antreiber“, die uns das spätere Erwachsenleben leichter machen sollen. Zäh wie Kaugummi haben sie sich über unsere Verhaltensweisen gelegt, die so maßgeblich mit unseren Denkmustern zusammenhängen, dass es schon ein gewisses Maß an Geduld und Hartnäckigkeit bedarf, hier einmal ordentlich aufzuräumen.

2) Welche Einstellung hast du ganz generell zu Stress?
Als Optimist ist man sich der Existenz von Problemen durchaus bewusst, der entscheidende Unterschied liegt darin, dass man fest davon überzeugt ist, über die Fähigkeit zur Problemlösung zu verfügen: Selbstwirksamkeit.
Fehlt es an dieser Stelle an Überzeugung, kann es hilfreich sein, sich eine Liste mit allen Herausforderung anzulegen, die man im Laufe seines Lebens bereits erfolgreich bewältigt hat. So wird man sich wieder bewusst über die eigene Selbstwirksamkeit, die an der einen oder anderen Stelle schon mal in Vergessenheit geraten kann..

3) Welche Herangehensweise verfolgst du, um stressige Situationen erst gar nicht aufkommen zu lassen?
Nein ist ein vollständiger Satz. Und nicht nur das, er führt dazu, Stress erst gar nicht aufkommen zu lassen. Wie oft ist dieser Satz in Benutzung? Welche Gefühle entstehen dabei? An welcher Stelle sind die Gefühle stärker? Besonders ausgeprägte Emotionen sind ein Indiz für Leistungsgrenzen. Um der negativen Stressfalle zu entkommen, ist es essentiell seine eigenen Grenzen zu kennen und diese auch in klaren Worten bennenen zu können.

4) Woran erkennst du, dass du dich in einem negativen Stressfeld bewegst?
Und nun ist es doch passiert: Das Stresslevel ist in den toxischen Bereich gekippt. Aber woran genau erkenne ich das? Wie reagiert mein Körper in dieser Situation? Wie reagiere ich auf meine Körper? Welche Signale sind ein klares Zeichen für negativen Stress? Hier kann das Lernzonen Modell wahre Wunder bewirken. Grün steht für Komfortzohne, Gelb für Lernzone, Rot für Panikzone. Jede Zone hat unterschiedliche Auswirkungen auf das eigene Befinden. Im Eifer des Alltagsgefechts mit Smartphone, Familie, Chef und Fortbewegung kann es da schon mal zu verschwimmenden, nicht mehr klar definierten Grenzen kommen.

4) Wie sieht es mit deinem Pausen-Management aus?
Was macht eine Pause erholsam? Die Andersartigkeit der Beschäftigung. Hand auf´s Herz: Wie oft werden Pausen mit (nicht sonderlich sinnstiftenden) Smartphone Social Media Beschäftigungen „aufgefüllt“? Wenn der Arbeitsalltag dabei noch eine mehrstündige Beschäftigung vor einem Computerbildschirm vorsieht, dann ist der psychische Schaden vorprogrammiert. Pausen sollten kontrastreich sein zu dem, was zuvor getan wurde. Wie werden Pausen bewusst und ohne schlechtes Gewissen genutzt? Welche Einstellung lebt der Chef dabei vor?

5) Welche Ressourcen nutzt du vor Ort, um dich wieder mit Energie aufzutanken?
Stichwort: Arbeitsplatz.
Wie hoch ist der Wohlfühlffaktor am Arbeitsplatz? Und wie genau kann man  hier selbst positiv Einfluss nehmen? Teamevents können hier wahre Wunder vollbringen, aber auch die kleinen Dinge im Leben wie gemeinsame Kaffee Dates oder Lunches lockern die Arbeitsatmosphäre auf und tragen für alle Beteiligte zu einem positiveren Miteinander bei.
Welche Möglichkeiten gibt es noch, um die Energiereserven am Arbeitsplatz aufzufüllen? Und wenn es sie gibt: Wie aktiv wird davon Gebrauch gemacht?

Quelle: https://magazin.lufthansa.com/

Wenn Stress vorprogrammiert ist...

Als Aviation Trainerin erarbeite ich gemeinsam mit angehenden Flugbegleitern während ihrer Ausbildung verschiedene Strategien, wie das Stresslevel innerhalb der neuen Tätigkeit bestmöglich gehandhabt werden kann.
Gerade die Arbeit an einem zwar flexiblen aber doch sehr eingeengten Arbeitsplatz wie dem Flugzeug, die häufige Abwesenheit von Zuhause, der Klima- und Zeitzonenunterschied sowie die Verantwortung, die mit der Ausübung der Tätigkeit einhergeht, stellt besondere Anforderungen an die Stressresistenz von Flugbegleitern. Gelingt diese Anpassung an Stresssituationen im Extremfall nicht, kann das gefährliche Konsequenzen zur Folge haben 27.000 Flugzeuge verkehren täglich im europäischen Luftraum. Im Jahr 2013 starteten 3 Millionen Flugzeuge alleine in Deutschland. Bei einem derartigen Verkehrsaufkommen und einer Passagierzahl von bis zu 180 Millionen, besteht verständlicherweise ein erhöhtes Interesse an einer sicheren Flugdurchführung.

Um die richtigen Entscheidungen in kritischen Situationen treffen zu können, bedarf es einer optimalen Problemerkennung, sowie einer effizienten Bewertung von Alternativen und der richtigen Abschätzung möglicher Konsequenzen. Achtsamkeit kann dabei als Entscheidungsstütze dienen, die eine bessere Selbstwahrnehmung und somit urteilsfreie Intuition unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren ermöglicht. 

 

„Menschen können bei ganz alltäglichen Aufgaben herausragende Ergebnisse erzielen, wenn ihre Energie gebündelt auf die Aufgabe gerichtet ist, die vor ihnen liegt.“

So kann Achtsamkeit beispielsweise beim Gehen, Stehen, Zähneputzen, Duschen, beim Warten an der Verkehrsampel oder beim miteinander Sprechen und Streiten umgesetzt werden. Integriert man diese einfachen Anwendungen in den persönlichen Alltag, unterstützt man dadurch die Beziehung zu sich selbst und gleichzeitig das Verhältnis zu seinen Mitmenschen, in diesem Fall zu Kollegen und Passagieren.

Es ist immer wieder erstaunlich, welche lösungsorientierten Ansätze wir gemeinsam während des Trainings ausarbeiten und wie wichtig es ist, dabei seine eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt nach Pauschallösungen zu suchen. Die Mittel innerhalb eines Verkehrsflugzeuges sind bei weitem begrenzter, als in jeder anderen Branche, aber auch hier lassen sich hervorragende Strategien finden, die in den Arbeitsalltag umgesetzt werden können.

Dies sind nur einige wenige Indizien über die allgemeine Stressanfälligkeit und wie wir ihr entgegen treten können. Ganz allgemein gilt: Der Blickwinkel macht das Bild = die Momentaufnahme. Stress als auch Angst wurden schon immer negativ besetzt und uns in Folge dessen als etwas unschönes, zu vermeidendes Konstrukt in die Köpfe gepflanzt. Unser Hirn ist aber durchaus in der Lage alte Dokumente neu zu überschreiben = Neuroplastizität. Ändern wir unsere Einstellung, so ändert sich letztlich auch der Ausgang/das Gefühl gegenüber bestimmten Situationen. Andere Momente lassen sich widerrum durch gezielte Achtsamkeit in ihrer Wirkweise entschärfen.

In diesem Artikel habe ich versucht durch einige wenige positive, teils paradoxe Beispielse aus der Psychologie den Blickwinkel zum Thema Stress neu zu bewerten. Dies ist der erste Schritt zur Veränderung.

Quellen: DSM IV, http://www.airliners.de/lufthansa- flugbegleiter-muenchen/35712, Heidenreich, T., & Michalak, J. (2009). Achtsamkeit und Akzeptanz in der Psychotherapie: Ein Handbuch (3 edition). Tübingen: dgvt-Verlag, INSM. (2016, Mai 31). Studie: Arbeit heute und morgen, Abolghasemi, A., & Varaniyab, S. T. (2010). Resilience and perceived stress: predictors of life satisfaction in the students of success and failure. Procedia – Social and Behavioral Sciences, 5, 748–752. https://doi.org/10.1016/j.sbspro.2010.07.178 , Kohls, N., Rupprecht, S., & Tamdjidi, C. (2017). Achtsamkeit in Unternehmen – ein Überblick über den Forschungsstand. Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Wirtschaftspsychologie aktuell (3), 28–34.

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